Der durchgedrehte Weihnachtsbaum

 

 

Wir standen vor unserem Weihnachtsbaum, den wir gerade hatten geschmückt, Gold und Rot war in diesem Jahr unsere Farbe, er war uns gut geglückt. Er stand in einer Ecke, direkt neben dem Kamin, sonst passte er von der Größe her nirgendwo anders hin.

Ich stand noch da und schaute ihn mir an, schade, dachte ich, dass man ihn nicht von allen Seiten sehen kann. Man sollte ihn drehen können, dann könnten wir uns auch die andere Seite gönnen. Was gibt es für Sachen, um den Baum drehbar zu machen?

Ich überlegte noch, wie könnte das funktionieren, ohne viel Geld zu investieren. Dann begab ich mich in meine Hobbywerkstatt um zu sehen, was mein Lager noch zu bieten hat. Ein Drehteller musste her mit einem Motor daran, damit er den Weihnachtsbaum drehen kann. Von dem Holz das ich mir zusammen suchte, habe ich eine Kiste gebaut, darin wird der Motor eingebaut, wo oben später eine Achse rausschaut. Jetzt brauche ich noch ein Kugellager und einen Motor mit der nötigen Kraft, dann habe ich es bald geschafft. Einen Motor habe ich aber nicht zu Haus, also fahre ich zum Schrottplatz hinaus. Nach längerem Suchen habe ich eine Platte mit einem Kugellager darunter gefunden, für den Motor brauchte ich länger, so ungefähr zwei Stunden. Auf dem Schrottplatz herum zu stöbern, war für mich der größte Hit, jetzt muss ich aber gehen, sonst nehme ich noch mehr mit.

Zu Hause angekommen gehe ich wieder mit guter Laune an meinen Basteltisch, ich baue weiter an meinem Objekt und bin dabei ganz fröhlich. Ich baue den Motor ein und setze die Platte auf die Achse drauf, eine Schraube noch und ich mache einen Probelauf. Ich hole mir einen Eimer mit Wasser als Gewicht, wenn der Motor das nicht schafft, schafft er auch den Tannenbaum nicht. Ich stelle den Motor an, jetzt geht es los, er läuft nicht an, warum denn bloß? Der Motor brummt und wird ganz warm, irgendetwas fehlt, damit er durchstarten kann. Natürlich, ein Kondensator, an den habe ich nicht gedacht, sonst hätte ich den selbstverständlich mitgebracht. Jetzt muss ich schon wieder fahren, also schnell noch zum Fachgeschäft hin, nehme vorsichtshalber den Motor mit, damit es auch der richtige Kondensator ist für das Ding. Der Verkäufer holt den Kondensator und schraubt ihn direkt an den Motor dran, steckt das Kabel in die Steckdose und der Motor läuft an. „Sie brauchen noch ein Steuergerät für dieses Modell, sonst wird er Ihnen zu schnell. Das hier können Sie stufenlos schalten, damit können Sie die Geschwindigkeit individuell gestalten. Mit der Fernbedienung steuern Sie alles vom Sofa aus, dafür bekommen Sie zu Hause bestimmt Applaus.“ Ich habe alles gekauft und mitgenommen, zuhause habe ich dann mit der Fertigstellung des Tannenbaumantriebes begonnen.

Ich trug den Tannenbaumantrieb ins Haus hinein, meine Frau schaute mich an und sagte: „Was soll das denn sein?“ Ich erklärte Ihr die Funktion und sagte: „Lass mich mal, ich mache das schon.“ Ich rufe meine Sohn und sagte zu ihm: „Kannst Du mir helfen, wir bauen am Tannenbaum einen Motor dran, damit man ihn von allen Seiten sehen kann.“ Wir haben den bereits geschmückten Tannenbaum hochgehoben und die Kiste mit dem Motor und der Platte darunter geschoben. Den Tannenbaumfuß haben wir mit vier Schrauben fixiert, damit beim Drehen des Baumes nichts passiert. Damit ich das drehbare Element jetzt testen kann, stecke ich den Stecker in die Steckdose dann. Ich nehme die Fernbedienung in die Hand und drücke auf die Taste Start, der Motor kommt ganz langsam in Fahrt. Jetzt können wir den Tannenbaum von allen Seiten sehen und finde den Baum nochmal so schön. Die Tannenbaumbeleuchtung lasse ich noch weg, ich das Kabel später in die Steckdose steck.

Heiligabend, meine Tochter mit Mann und Kinder sind bei uns zu Gast und sagt: „Zeige uns doch einmal, was Du wieder gebastelt hast?“ Alle fanden die Idee sehr schön, sie wollten aber den Baum auch beleuchtet sehen. Ich hielt den Motor an und steckte den Stecker für die Beleuchtung in die Steckdose dann. Nun stand er da, der Tannenbaum, war wunderschön und einfach herrlich anzuschauen.

Nach einem sehr guten Weihnachtsessen sprachen die Kinder es aus: „Wie sieht es mit der Bescherung aus?“ Die Geschenke waren bereits unter dem Baum aufgestellt, die Beleuchtung den Raum ganz festlich erhellt. Dann sangen wir ein Weihnachtslied, alle sangen kräftig mit. Alle holten sich ihre Weihnachtsgeschenke, dann ich an den drehbaren Weihnachtsbaum denke. Ich schalte den Motor an und der Tannenbaum sich langsam zu drehen begann. Die Fernbedienung lege ich auf den Tisch, die brauche ich ja im Moment  nicht.

Jeder schaut sich seine Geschenke an, als hinter mir ein Geräusch sagt, halte lieber den Motor an. Ich suche die Fernbedienung, habe aber nur den Regler gefunden und der Motor raste los innerhalb von Sekunden.  Das Kabel für die Tannenbaumbeleuchtung hat sich um den Baum herum aufgedreht, dann wurde es stramm und der Stecker wird aus der Steckdose gerissen und auf seine Flugbahn geht. Wir treten schnell alle einen Meter zurück, das ist unser aller Glück. Der Stecker trifft auf seiner Tour eine ziemlich teure Skulptur, genannt „Die Drei“, jetzt muss man sie umbenennen , denn es sind der Figuren nur noch zwei. Der Motor hat die Geschwindigkeit noch erhöht, so langsam vom Baum alles fliegen geht.

Die Weihnachtskugeln kommen angeflogen, zerplatzen an der Wand oder auf dem Boden. Die Strohsterne und kleinen Figuren liegen auf dem Boden, dem Schrank oder den Wohnzimmergarnituren. Das Lametta konnten wir auch nicht auffangen, dafür sind wir jetzt selbst damit behangen.

Inzwischen konnte ich den Baum anhalten, es war mir gelungen den Motor abzuschalten. Der Tannenbaum stand noch immer auf der drehbaren Platte, nur das er jetzt wieder grün war, weil er keine Kugeln und Lametta mehr hatte.

Wir schauten uns an, dann fingen wir an zu lachen, den Motor bauten wir ab und schmückten den Baum mit neuen Sachen. Vorher haben wir jedoch von uns Fotos gemacht, weil unser Weihnachtsbaum aus uns auch einen Weihnachtsbaum hatte gemacht.

 

im September 2014 /k

© Ulrich J. Gerhards